Expertenkolumne |
17.10.2025 10:22:59
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Entkopplung auf beiden Seiten des Atlantiks

Die US-Wirtschaft hat in mehrfacher Hinsicht Neuland betreten. Der wirtschaftspolitische Kurs der Trump-Regierung - eine Mischung aus fiskalischer Lockerung, Zollerhöhungen und strikten Einwanderungsbeschränkungen - wirft zahlreiche Fragen bei Marktteilnehmern und Ökonomen auf.
Diese Unsicherheiten werden zusätzlich durch den "Shutdown" in den USA verstärkt, der nicht nur die US-Wirtschaft direkt belastet, sondern Investoren auch den Zugang zu zeitnahen und verlässlichen Wirtschaftsdaten erschwert.
Im Euroraum ist die Lage deutlich klarer. Die EZB hat es geschafft, die Währungsunion sanft abzubremsen ("soft landing"): Die Inflation ist wieder unter Kontrolle, und das Wachstum bleibt - wenn auch schwach - positiv. Dennoch bestehen auch hier Risiken, etwa in Form eines unerwartet hohen Zollschocks oder von geopolitischen Spannungen.
Die Kreditmärkte zeigten sich unbeeindruckt: Dank anhaltender Zuflüsse zogen die Risikoprämien weiter an. Die Risikobereitschaft der Märkte scheint ungebrochen.
US-Zinsen: Märkte nehmen die Dinge, wie sie kommen
Im vergangenen Monat hielten wir an einer positiven Haltung gegenüber der US-Duration fest und strebten Renditen zwischen 4,0 und 4,2 Prozent an. Als sich die 10-jährige US-Rendite der Marke von vier Prozent näherte, konnten wir Gewinne erzielen und kehrten zu einer neutralen Position zurück. Nun stehen wir kurz davor, wieder zu einer positiven Haltung zurückzukehren und planen, im Fall einer Schwächephase Long-Positionen aufzubauen. Der absolute Fair Value bleibt attraktiv, auch wenn Inflationssorgen bestehen bleiben.
Wir setzen zudem auf eine steilere Position der US-Zinskurve - allerdings aus anderen Gründen als im Euroraum. Das kurze Ende dürfte durch die geldpolitische Lockerung gestützt werden, während das lange Ende strukturell unter hohen Defiziten und wachsender Sorge der Anleger um die Schuldentragfähigkeit leidet. Wir setzen auf den Bereich von fünf bis 30 Jahren, um geringere Carry-Kosten zu tragen als im Bereich von zwei bis 30 Jahren.
Die Märkte preisen aktuell einen Endzinssatz von drei Prozent für die Fed und zwei Prozent für die EZB ein, was auf eine begrenzte Divergenz zwischen beiden hindeutet. Trotz des moderaten Tempos der bisherigen Zinssenkungen bleiben die finanziellen Bedingungen ausgesprochen günstig - so günstig wie nie zuvor ausserhalb der COVID-Periode. Die jüngsten Zinssenkungen wurden in erster Linie durch die Realzinsen getrieben, während die Inflationserwartungen weiterhin hoch sind.
Zölle dürften mittelfristig einen Aufwärtsdruck auf die Güterinflation ausüben, während die Kerninflation bei Dienstleistungen (ohne Wohnen) weiterhin hoch bleibt - ein beunruhigender Trend. Auch der ISM-Preisindex für den Dienstleistungssektor signalisiert anhaltenden Preisdruck, was die Fed zu einem schrittweisen Vorgehen bei Zinssenkungen veranlassen dürfte. Wir rechnen mit zwei weiteren Zinssenkungen in diesem Jahr.
Harte Wirtschaftsdaten zeigen weiterhin Widerstandsfähigkeit, während weiche Indikatoren hinterherhinken. Der Citi Economic Surprise Index bleibt positiv, und die Schätzungen des Atlanta FedNow-Modells bestätigen robustes Wachstum. Weniger ermutigend sind hingegen die Signale vom Arbeitsmarkt: Der ADP-Bericht wies einen Rückgang der Beschäftigtenzahlen um 30.000 aus - ein mögliches Anzeichen für eine Verschlechterung. Historisch korreliert ein negatives Beschäftigungswachstum mit einer wirtschaftlichen Abschwächung, wenngleich die aktuellen Bedingungen eher auf einen "eingefrorenen" Arbeitsmarkt als auf echte Schwäche hindeuten. Die Volatilität bei den Arbeitslosenanträgen stützt diese Interpretation. Der Shutdown der US-Regierung birgt ein zusätzliches Abwärtsrisiko für das Wachstum.
Die aktuellen Inflationsbarometer liegen derzeit bei etwa 2,4 Prozent, wobei der jüngste Renditeanstieg überwiegend aus höheren Realzinsen resultiert. In diesem Umfeld erscheint es sinnvoll, Inflationsschutz zu kaufen, da nominale Renditen künftig niedrigere Realzinsen und höhere Inflationserwartungen einpreisen könnten.
Vorhersehbarkeit und Stabilität im Euroraum
Wirtschaftliche Überraschungen bleiben im Euroraum gering - ein Umstand, der die EZB zweifellos beruhigt. Das Wachstum bleibt schwach, gestützt durch moderate Verbesserungen in einzelnen Sektoren. Die Einkaufsmanagerindizes (PMI) bewegen sich leicht über 50, während der Industrie-PMI weiter sinkt. Zollrisiken bleiben bestehen und rechtfertigen einen vorsichtigen Ausblick. br> Inflationsprognosen zeigen sich gedämpft, mit Werten unter zwei Prozent bis Anfang 2026. Sowohl die Gesamt- als auch die Kerninflation bleiben stabil - ein neutrales Rating ist gerechtfertigt. Nachdem wir auch bei unseren Kurvenstrategien eine neutrale Haltung eingenommen hatten, setzen wir nun wieder auf eine steilere Kurve im Bereich von zehn bis 30Jahren. Ein wesentlicher technischer Treiber sind die niederländischen Rentenreformen: Zwei der drei grössten niederländischen Pensionsfonds planen den Wechsel zu beitragsorientierten Systemen bis 2026, was die Nachfrage nach langfristigen Anleihen strukturell schwächen dürfte.
Die Haltung der EZB bleibt unverändert. Präsidentin Lagarde bekräftigte ihr Vertrauen in den aktuellen Kurs, wobei nur minimale Zinssenkungen eingepreist sind - weniger als zehn Basispunkte über einen Zeitraum von einem Jahr.
Gegen Jahresende dürfte sich die Kapitalflussdynamik verbessern, da die Emissionstätigkeit im 4. Quartal sinkt und die meisten Länder ihre Finanzierungsprogramme für 2025 fast abgeschlossen haben. Diese Entwicklung stärkt die Angebots-Nachfrage-Balance. Positionierungen bleiben weitgehend unverändert, mit moderaten Durationsreduzierungen, aber ohne wesentliche Umschichtungen.
Attraktive Chancen in Schwellenländern
Die Schwellenländeranleihen spiegeln die Entwicklung der Unternehmensanleihen wider und verzeichnen weiterhin starke Zuflüsse, womit sich die Dynamik des letzten Monats fortsetzt. Trotz hoher Bewertungen stufen wir unsere Einschätzung für Hartwährungen herauf und sehen sowohl Staats- als auch Unternehmensanleihen nun positiver. Zwar bleiben die Spreads eng, aber im Vergleich zu US-Anleihen sorgen Schwellenländeranlagen weiterhin für attraktive Renditen. Die Gesamtrenditen bieten einen Puffer gegen mögliche Spreadausweitungen. Trotz der Zuflüsse ist die Positionierung nicht überzogen.
Zuflüsse dürften sowohl im Hart- als auch im Lokalwährungssegment anhalten. Lateinamerika bleibt besonders attraktiv, während Asien selektive Chancen bietet. Die Währungen der Schwellenländer haben über längere Zeit unterdurchschnittlich abgeschnitten, was die Renditen geschmälert hat. Ein schwächerer US-Dollar verschafft den Zentralbanken jedoch Spielraum, um Abwertungsrisiken zu steuern.
Wir behalten unsere Long-Positionen in ungarischen Zinsen und Devisen bei. Hohe Renditen und eine restriktive Zentralbankpolitik stützen diese Strategie. Da die Inflation voraussichtlich unter vier Prozent fällt, sind Zinssenkungen möglich. Politische Fortschritte könnten zudem den Zugang zu EU-Mitteln erleichtern - ähnlich wie in Polen nach dem Wahlsieg von Donald Tusk.
Wir bleiben optimistisch für den Yen - mit kurzfristigen Risiken
Wir behalten unsere optimistische Einschätzung des Euro gegenüber dem US-Dollar bei, gestützt durch mehrere fundamentale Faktoren. In Europa sorgen höhere Verteidigungsausgaben und geplante Infrastrukturinvestitionen in Deutschland für einen positiven Wachstums- und Fiskalimpuls.
Im Gegensatz dazu zeigen sich in den USA Anzeichen einer Abschwächung, insbesondere am Arbeitsmarkt, was die Fed zu einer vorsichtigeren Haltung veranlasst. Diese taubenhafte Wende reduziert die relative Attraktivität des US-Dollars.
Auch die aktuellen Zinsunterschiede zwischen EZB und Fed sprechen zunehmend für den Euro, da sich die Differenz verringert und die geldpolitischen Erwartungen weniger unterstützend für den US-Dollar sind. Zusammengenommen deuten diese Faktoren darauf hin, dass der Euro gegenüber dem US-Dollar kurzfristig weiterhin Aufwärtspotenzial hat.
Aufgrund der schwierigen Aussichten für Grossbritannien behalten wir eine Short-Position im GBP bei. Die Regierung steht vor schwierigen finanzpolitischen Entscheidungen im Vorfeld des Herbsthaushalts am 26. November, während die Wachstumsdynamik weiterhin schwächelt. Die Markterwartungen an die Bank of England erscheinen zu optimistisch, da bis März/April keine Zinssenkungen erwartet werden, was unserer Meinung nach die Abwärtsrisiken unterschätzt.
Im Gegensatz dazu halten wir eine Long-Position im JPY, gestützt durch die Erwartung, dass die Bank of Japan ihre für den Yen günstige Politik beibehält. Allerdings wird das jüngste Ergebnis der LDP-Führungswahl, bei der Takaichi als Schlüsselfigur hervorgegangen ist, als kurzfristig weniger günstig für den Yen angesehen - wir rechnen daher mit einer moderateren Aufwertung.
Wir gehen eine Long-Position im australischen Dollar ein, da er relativ widerstandsfähig ist und von der Stabilisierung des globalen Wachstums profitiert. Die Währung erhält Auftrieb durch verbesserte Handelsbedingungen und ein günstiges Rohstoffumfeld. Die Reserve Bank of Australia bleibt im Vergleich zu anderen Zentralbanken weniger taubenhaft, was zusätzlichen Rückenwind verleiht.
Kreditmärkte bleiben teuer, werden aber gut unterstützt
Aus Bewertungssicht bleiben die Renditen attraktiv. Das Euro-Investment-Grade-Segment bietet rund 3,1 Prozent, während Euro-High-Yield-Anleihen bei fast fünf Prozent liegen - Niveaus, die einen soliden Puffer gegen mögliche Spread-Ausweitungen bieten. Diese Carry-Niveaus schaffen eine stabile Einkommensbasis, insbesondere in einem Umfeld niedriger Volatilität.
Wir stufen US-Hochzinsanleihen auf "neutral" hoch, gestützt durch robustes Wachstum, schwache Arbeitsmarktdaten und einen Zinssenkungszyklus ohne Rezession - ein ideales Umfeld für Anleihen. Es besteht weiteres Straffungspotenzial, und wir gehen davon aus, dass sich die Spreads mit der Verbesserung der Konjunktur leicht verengen werden. Unsere Position zu EUR-Hochzinsanleihen bleibt unverändert auf "neutral".
Wir sehen EUR Investment Grade weiterhin positiv. Auf risikobereinigter Basis erscheinen EUR-IG-Anleihen gegenüber anderen IG-Segmenten attraktiv. Zwar sind die Spreads absolut gesehen eng, doch das makroökonomische Umfeld im Euroraum bleibt günstig. Kurzfristig dürfte das begrenzte Angebot angesichts der bevorstehenden Sperrfrist für die Berichtssaison unterstützend wirken. Gegenüber USD Investment Grade bleiben wir neutral, da hier die Unsicherheit grösser ist und das Segment eine längere Duration aufweist - was es anfälliger für Spreadbewegungen macht.
Bei AT1/CoCo-Bonds haben wir taktisch Gewinne realisiert und sind zu einer neutralen Haltung zurückgekehrt, angesichts der gestiegenen Unsicherheit. Dennoch bleiben wir wachsam gegenüber möglichen Spreadausweitungen, die attraktive Einstiegsgelegenheiten bieten könnten.
Von Nicolas Jullien, Global Head of Fixed Income bei Candriam
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